Verpackung der Abnehmspritze, tags: Abnehm-Medikament, Geschichte

Eine Geschichte aus der Forschung

Abnehm-Medikament: So entstand die Abnehmspritze wirklich

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AUTOR/IN
Laura Strätling

Aus einem Diabetes-Medikament wurde plötzlich ein Abnehm-Medikament. Das lassen viele Medienberichte anklingen. Doch so wie es häufig dargestellt wird, verlief die Geschichte der Abnehmspritze gar nicht.

Der Breakthough of the Year Award 2024 geht an die Abnehmspritze  

Die Verleihung des Breakthrough of the Year Award findet in Washington DC statt. Hier kürt die renommierte Fachorganisation “American Association for the Advancement of Science” (AAAS) den wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres. In diesem Jahr gibt es zwei Preisträger: Lotte Bjerre Knudsen, Wissenschaftlerin beim dänischen Pharma-Konzern Novo Nordisk und Richard Di Marchi, Professor für Biochemie an der Indiana University.  

Sie sind Inhaber zweier entscheidender Patente, und haben damit den Grundstein für die heutige Abnehmspritze gelegt. Während der Preisverleihung berichten beide von ihrer Forschung. Schnell wird klar: Die war geprägt von Gegenwind und Skepsis. 

Die Forschung zum Abnehm-Medikament startete in den 90ern 

Denn so, wie es häufig debattiert wird, war es gar nicht. Die Abnehmspritze ist nicht plötzlich aus dem Diabetes-Medikament entstanden, erklärt Lotte Knudsen: 

Lassen sie mich zurück in die 90er gehen. Ja, es gab viel Forschung für eine potentielle neue Behandlung für Diabetes. Gleichzeitig gab es aber schon andere Forschungsgruppen, die sich mit anderen Effekten von GLP-1 beschäftigten.

GLP-1. Das ist die Basis einiger Medikamente, die zur Behandlung von Diabetes eingesetzt werden. Knudsen kam auf die Idee, diese Moleküle auch anders einzusetzen: 

Ich dachte mir: Ich habe Kollegen, die sich mit Diabetes auseinandersetzen und Kollegen, die zu Fettleibigkeit forschen. Warum kann ich nicht beides machen? Und das haben wir dann für 30 Jahre.“ 

Zwei der bekanntesten GLP-1-Moleküle sind Liraglutid und Semaglutid. Knudsen findet in den 90ern heraus, dass die Moleküle nicht nur die Insulin-Produktion im Körper ankurbeln. Sie ließen die Versuchs-Mäuse im Labor auch weniger essen.

Aber die Forschung war kein leichtes Unterfangen. Knudsen musste zunächst einige Skeptiker bei Novo Nordisk überzeugen. „Es schien so, als wäre GLP-1 für Diabetes vorherbestimmt”, sagt sie gegenüber der AAAS. Viele ihrer Kollegen und Kolleginnen konnten nicht verstehen, dass ein Medikament zwei Anwendungsgebiete haben könnte.

Adipositas wurde lange nicht als Krankheit anerkannt  

Auch Richard Di Marchi hat es sich vor langer Zeit zum Ziel gemacht, Diabetes und Adipositas zu behandeln und stieß dabei auf Gegenwind: 

Ich wollte diese Forschung unterstützen. Vor allem, weil ich sehen konnte, dass man Bluthochdruck, Diabetes und Fett-Stoffwechsel-Störungen beim selben Patienten mit drei verschiedenen Medikamenten behandelte. Und dabei wusste ich, dass in den meisten Fällen Übergewicht jede dieser Krankheiten fördert. Ich wollte etwas Grundlegenderes schaffen, um diesen Menschen zu helfen.

Gerade Menschen mit Fettleibigkeit bzw. Adipositas – also einem extremen Übergewicht – betreffen diese gesundheitlichen Risiken. Von einer Fettleibigkeit redet man ab einem Body-Mass-Index von 30 – also zum Beispiel bei einer 1.66m großen nicht-muskulösen Frau, die 83 kg wiegt (13 kg über dem Durchschnitt). Oder einem 1,.80-großen Mann von über 97kg Gewicht. 

Schüssel Salat auf dem Schoß einer Frau, tags: Abnehmspritze, Abnehm-Medikament, Geschichte
In vielen Fällen ist Fettleibigkeit kein Lifestyle Problem. Es gibt viele unterschiedliche Gründe: Beispielsweise genetsiche Ursachen, Stress oder Schlafstörungen.

Viele Jahrzehnte ging man davon aus, dass Fettleibigkeit nur eine Folge von zu viel Essen sei. Ein Lifestyle Problem also. Heute weiß man: Fettleibigkeit ist in vielen Fällen eine chronische Krankheit, die durch viele verschiedene Faktoren bestimmt wird und diverse Folgeerkrankungen mit sich bringt. Tatsächlich steht Fettleibigkeit mit über 200 Erkrankungen in Verbindungen. Sie fördert beispielsweise das Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle und kann Arthrosen begünstigen.  

Wenn wir Diabetes behandeln, warum behandeln wir dann nicht auch Fettleibigkeit? Ich wurde immer wieder von meinem Umfeld daran erinnert, dass Fettleibigkeit keine Krankheit ist. Und falls es doch so wäre, würden Patienten niemals eine Spritze akzeptieren, um sie zu behandeln. Wir haben heute das Gegenteil bewiesen.

Heute besteht eine hohe Nachfrage nach dem Abnehm-Medikament  

Katherine Saunders teilt die Meinung des Wissenschaftlers. Sie ist Jury-Mitglied und hat sich als Medizinerin auf Adipositas spezialisiert. Die Nachfrage nach dem Medikament unter ihren Patienten ist hoch. Sie sieht an anderer Stelle Probleme: 

 Eines der wichtigsten Probleme, das wir unbedingt angehen müssen, ist die Stigmatisierung und Diskriminierung von fettleibigen Menschen. Es ist hart, aber wir kommen voran. 

Die Medizinerin spricht davon, dass das Medikament auch noch nicht genügend in das amerikanische Gesundheitssystem integriert sei. Ein Grund hierfür sei zum Beispiel die anhaltende Stigmatisierung von fettleibigen Menschen. Außerdem übernähmen Krankenkassen die hohen Kosten häufig nicht und auch an geschultem Fachpersonal fehle es noch. Das erschwert den Zugang trotz hoher Nachfrage. 

Eine Frau sitzt auf dem Boden hinter einer Waage, tags: Abnehmspritze, Abnehm-Medikament
Fettleibige Menschen werden in unserer Gesellschaft häufig stigmatisiert.

GLP-1 könnte zukünftig auch gegen andere Krankheiten wirken 

Richard Di Marchi ist überzeugt, dass sich das Durchhalten gelohnt hat.  

Gesundes Leben auch in älteren Jahren. Damit müssen wir uns beschäftigen. Und das ist nur der Anfang. Ich glaube, dass das nur ein Medikament ist, das einen größeren Zusammenhang beweist: Wir können komplexe Krankheiten erfolgreich behandeln und erhalten phänomenale Ergebnisse. Was kommt als nächstes? Ich bin gespannt! 

Mögliche Nebenwirkungen von Semaglutid

Ja, was kommt als nächstes? Der Enthusiasmus der beiden Preisträger steckt an. Und auch ihre Auszeichnung mit dem “Breakthrough of the Year Award” ist ein gutes Zeichen für die Abnehmspritze. Doch es gibt nach wie vor Risiken: Vertreter der deutschen Gesellschaft für innere Medizin warnen vor möglichen Nebenwirkungen von Semaglutid. Übelkeit und Durchfall sind beispielsweise keine seltenen Symptome. 

Auch der Fakt, dass das Medikament neben Körperfett auch Muskelmasse abbaut, steht in der Kritik. Bislang ist die Studienlage aber noch zu dünn. Die Forschenden sind dran, die Wirkstoffe auch auf die Behandlung anderer Krankheiten zu testen und stetig zu verbessern. Zum Beispiel für Alzheimer und Parkinson. Weiteres wird künftige Forschung zeigen. 

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