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Festakt zu 75 Jahre Grundgesetz im BW-Landtag

Gauck hält "Weimarer Ängste" für maßlos übertrieben

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AUTOR/IN
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Die Grundrechte sind seit 75 Jahren in der Verfassung verankert. Bei der Feier im BW-Landtag hat Altbundespräsident Gauck eine Festrede gehalten - und warnte davor, sich vor Rechtsextremisten zu fürchten.

Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1949, ist das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen worden. Zu diesem Anlass fand am Mittwochabend im baden-württembergischen Landtag eine Festveranstaltung statt. Zu diesem Anlass hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck dazu aufgerufen, die Demokratie selbstbewusst gegen ihre Feinde zu verteidigen.

Vor etwa 450 Gästen sagte der 84-Jährige im Landtag: "Trotz Wertebindung garantiert das Grundgesetz allein nicht, dass unsere freiheitlich-demokratische Ordnung überlebt." Für ihn sei klar: "Die Demokratie braucht die Demokraten, damit sie widerstandsfähig ist." Gauck lobte, dass viele Menschen zuletzt für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind.

In der Mediathek 75 Jahre Verfassung: „Wie gut ist unser Grundgesetz?“

Sandra Maischberger und ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam sammeln Antworten auf wichtige Fragen - wie zum Beispiel "Sind wirklich alle Menschen vor dem Gesetz gleich?".

Gauck wünscht sich mehr Selbstbewusstsein der Demokraten

Der Altbundespräsident erklärte, die Deutschen hätten allen Grund dazu, stolz auf das Grundgesetz und die Demokratie zu sein. Ohne die AfD zu nennen, warnte er davor, sich "im Übermaß" vor den Rechtsextremisten zu fürchten. "Wenn wir ihnen unsere Ängste schenken, wachsen ihre Bäume in den Himmel." Er warnte davor, die Lage der Bundesrepublik mit der Weimarer Republik zu vergleichen, die durch die Nationalsozialisten zerstört wurde. "Weimarer Ängste gehören nicht in die parteipolitische Landschaft."

In Deutschland gebe es immer noch ein "Defizit an Selbstbewusstsein" im Vergleich etwa zu den Nachbarn Polen und Frankreich, so Gauck. Es sei noch nicht im "kollektiven Ich" verankert, was man in den vergangenen 75 Jahren geschafft habe. Aus diesem Mangel an Selbstbewusstsein entstehe eine gewisse Aggressivität. Dem müssten Demokratinnen und Demokraten mit Stolz begegnen.

Gauck für Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor Einflussnahme

Es sei zwar denkbar, dass die Rechtsextremisten bei den Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Erfolge erzielen. Aber selbst wenn sie etwa in Thüringen an die Regierung kämen sei das nicht das Ende der Demokratie in Deutschland. Dennoch müsse man wachsam sein. Gauck sprach sich dafür aus, das Bundesverfassungsgericht gegen "extremistische Einflussnahme" zu schützen.

Sehr konservative Wählerschaft brauche „sicheren Hafen“

Gauck hält den Teil der Wählerinnen und Wähler, die für die etablierten Parteien nicht mehr zurückzuholen sind, für eher gering. "Viele sind einfach verunsichert." Ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Rechtsextremisten sei, dass die CDU für sehr konservative Wählerinnen und Wähler wieder attraktiver werde. "Wir brauchen in diesem Land so etwas wie einen sicheren Hafen des politischen Handelns für sehr konservative Menschen", sagte Gauck.

Wegen des schnellen Wandels hätten es rechtspopulistische Parteien einfacher, Menschen zu erreichen. Diese hätten ein "Tröstungsangebot" für jene, die von der Moderne verunsichert seien. Für die CDU sei es nicht leicht, diesen Menschen wieder ein Angebot zu machen. Denn sonst werde ihr schnell vorgeworfen, sich den Rechtspopulisten anzunähern.

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Aras fordert zur Bewahrung des "Demokratiewunders" auf

Für Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ist das Jubiläum ein "großartiger" Anlass, stolz auf die Demokratie zu schauen. Gleichzeitig müsse man sich aber auch vor Augen führen, was momentan durch das Erstarken von Verfassungsfeinden auf dem Spiel stehe.

In ihrer Rede sagte die Grünen-Politikerin: "Jeder kann etwas dafür tun, dass sich unser Demokratiewunder bewahrt. Wir sind selbst der beste Verfassungsschutz." Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte am Dienstag erklärt, das Grundgesetz sei deutsche Leitkultur. Er sagte angesichts der steigenden politischen Gewalt in Deutschland, er nehme "den Geruch von Weimar" wahr.

Das Grundgesetz ist nur knapp 1.400 Gramm schwer

Das Grundgesetz wiegt nur 1.396 Gramm und ist 35 mal 24 Zentimeter groß. Der Text, der am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat in Bonn beschlossen wurde, beginnt mit dem bis heute gültigen und prägenden Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Ellwangen

Geburtshelfer für eine neue Verfassung 75 Jahre Grundgesetz - welche wichtige Rolle Ellwangen dabei spielte

Politiker der Nachkriegszeit trafen sich ab 1947, um das Grundgesetz auszutüfteln. Fast im Geheimen gründeten sie den Ellwanger Kreis. Das war Thema am Peutinger Gymnasium.

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Bis zum Artikel 19 folgen weitere Grundrechte. Sie garantieren etwa Meinungs- und Pressefreiheit, Glaubensfreiheit oder Gleichberechtigung. In Artikel 20 heißt es schließlich: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Es wurde das rechtliche Fundament der Bundesrepublik Deutschland geschaffen - genau vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Offiziell verkündet wurde das Grundgesetz am 23. Mai 1949.

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Das Fest zur Festigung der Demokratie

Vor dem Landtag und der Staatsoper in Stuttgart fand am Mittwoch das "Fest zur Festigung der Demokratie" statt. Bürgerinnen und Bürger konnten sich unter anderem mit Abgeordneten aller Fraktionen, Vertreterinnen und Vertretern der Landeszentrale für politische Bildung und des Landesverfassungsgerichtshofs austauschen.

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